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Wie schreibe ich ein Buch? Beziehungsweise wichtiger noch: Wie beende ich ein Buch? So unterschiedlich die Antworten derjenigen, die bereits ein oder mehrere Manuskripte fertiggestellt haben, sein mögen, eines jedoch bleibt universal. Disziplin oder vielleicht besser ausgedrückt: Elan. Schreiben ist in den meisten Fällen nicht ohne Hürden, Sackgassen und die sich zu solchen Zeitpunkten einnistende Gewissheit, dass das, was man gerade am Schreiben ist, eine Vollkatastrophe, uninteressant, irrelevant und so weiter und so fort ist. (Ist es nicht, versprochen.) Aber das alles gehört dazu. Schreiben ist ein durch und durch emotionaler Prozess. Daher ist es umso wichtiger, dass du für das, was du zu Papier zu bringen versuchst, wirklich brennst. Diese Liebe und Leidenschaft für das Projekt ist es nämlich, die einem in Momenten voller Zweifel helfen, eben nicht alles gegen die Wand zu fahren und stattdessen mit einem neuen, plötzlich viel interessanter erscheinenden Projekt zu starten. Mir hilft es dann, mir ins Gedächtnis zu rufen, weshalb genau ich dieses Buch schreiben wollte. Dafür scrolle ich durch meine Pinterest-Pinnwand, versuche mich mittels meiner Playlist wieder mehr in der Welt und den Charakteren zu verankern, schreibe mir wortwörtlich auf, was ich an dem Projekt liebe, oder heule mich bei meinen Freundinnen aus, die mich daran erinnern, dass ich vor zwei Tagen noch Feuer und Flamme für die Idee gebrannt habe. Für mich kommen solche Zweifel meist auf, wenn ich mich frage, für wen ich das gerade überhaupt schreibe, da es ohnehin nie jemand lesen wird (was, wie ich hoffe, nicht so sein wird), oder ich an einer Szene oder einem Kapitel nicht weiterkomme und einfach nicht herausfinden kann, warum. Wenn sich etwas falschanfühlt, kann ich nicht weiterschreiben (ich bewundere jeden dafür, bei dem das nicht so ist). Mir hilft es dann, darüber nachzudenken, ob ich in einer vorherigen Szene vielleicht einen falschen Stein ins Rollen gebracht habe, ob die Handlung, wie ich sie mir vorgestellt habe, letztlich nicht mehr zu der Persönlichkeit des Charakters, aus dessen Perspektive ich schreibe, passt, oder ob ich vielleicht einfach nicht genug weiß – entweder, was die folgende Handlung oder was die emotionale Tragweite für meine Charaktere angeht. Aber das nur am Rande. Neben Elan und Leidenschaft ist Zeit der, wie ich finde, dritte Aspekt. Natürlich ist Zeit nicht gleich verteilt; jede Person hat unterschiedlich viel oder wenig davon, aber – und das ist etwas, das ich mir immer wieder bewusst mache – Zeit haben kommt von sich Zeit nehmen. Ja, an manchen Tagen, in manchen Monaten oder gar Jahren habe ich definitiv weniger Zeit als in anderen, das ist normal. Und sicher gibt es Personen, deren Tagesablauf es überhaupt nicht zulässt, dass sie sich Zeit zum Schreiben nehmen. Ich wage allerdings zu behaupten, dass das auf wirklich sehr, sehr wenige Personen zutrifft. Es ist eher die Frage: Willst du dir Zeit zum Schreiben einräumen oder priorisierst du stattdessen etwas anderes? Zeit am Handy, in den Sozialen Medien, auf Netflix und so weiter, das alles ist schnell gestrichen, wenn man denn will. Also hast du nicht vielleicht doch eine Lücke in deinem Alltag, die du anders füllen könntest? Für mich ist das definitiv – und das schon seit Jahren – der Morgen. Ich bin ohnehin Frühaufsteher, mein Kopf funktioniert morgens, ohne fremde Einflüsse oder Dinge, die mich, mein Denken und meine Laune beeinflussen könnten, am besten. Und wenn es nur eine halbe Stunde ist, die ich mir freiräumen kann, bringt es mir doch vor allem eines: Ich tauche in meine Geschichte ein und versetze meinem Unterbewusstsein somit einen heftigen Tritt. Wenn ich meinen Tag so beginne, ist es viel wahrscheinlicher, dass ich mich in den Stunden darauf dabei ertappe, wie neue Ideen in meinem Kopf Gestalt annehmen. Und auch das zählt für mich zum Schreiben: das Planen, das Ansammeln von Ideen und Inspiration und auch das anschließende Bearbeiten.
Also zusammengefasst: Wie beende ich ein Buch?
Meine Antwort darauf wäre: Indem du nicht aufgibst, dich wieder und wieder daran erinnerst, warum du für das Projekt brennst und dir bewusst Zeit einräumst, um an deiner Idee zu arbeiten.
Schreiben ist nicht zwingend ein linearer Prozess, der in einem Schritt für Schritt Schema erfolgt. Trotzdem habe ich die einzelnen Teilbereiche gegliedert und in eine mir sinnvoll erscheinende Reihenfolge gebracht.
Die erste, magische Idee:
Ideen können auf die unterschiedlichste Art und Weise zu uns kommen. Für mich formen sie sich meist in meinen Träumen oder durch meine Sehnsucht nach einem Buch, das ich gerne lesen, aber einfach nicht finden kann, so sehr ich das Internet auch danach durchforste. Damit mir meine Ideen nicht entfliehen, was sie gerne tun, besonders, wenn sie mir kurz vor dem Einschlafen kommen, versuche ich immer, sie mir sofort aufzuschreiben. Dazu nutze ich entweder meine Notiz-App auf dem Handy, eines meiner tausend Notizbücher, einen Zettel, den ich mir schnell schnappe und dann in meiner Hosentasche vergesse, oder die Sprachaufnahmen-Funktion an meinem Handy. Das ist besonders dann hilfreich, wenn ich nicht zwingend eine neue Idee habe, sondern genauer über eine Idee nachdenke. Da ich ein Sprechdenker bin führe ich so manchmal ganze Gespräche mit mir selbst, in denen ich immer wieder laut frage: „Okay, also wenn das und das, dann …?“ Wo das besonders gut für mich funktioniert, ist beim Autofahren. Niemand kann mich hören und ich weiß, dass ich für Periode X dort sitze. Wenn ich also über meine Idee nachdenken will, beginne ich einfach, sobald ich ins Auto steige, mit der Sprachaufnahme. (Ja, dieses Gebrabbel wieder anzuhören und Notizen daraus zu formen kann nervig sein.)
Natürlich ist es auch möglich, eine Idee bewusst zu jagen. Vielleicht hat dir jemand einen Schreib-Prompt gegeben, du musst oder willst ein bestimmtes Thema verfolgen oder du hast einen Charakter in deinem Kopf herumspuken, für den du noch keine passende Geschichte gefunden hast.
Oder vielleicht hast du noch gar keine Idee, möchtest aber wirklich gerne Schreiben – an der Stelle sei der Verweis auf solche Schreib-Prompts, YouTube Playlists mit Titeln wie: you’re solving a murder mystery at your boarding school (Link: https://www.youtube.com/watch?v=w5FX0kXTLhM&list=PLbJn8SGNBH09PiutlE5z8P_AoQptlGh1b&index=36&t=2s) oder Listen von bestimmten Tropes in bestimmten Genres zu setzen.
Wie sich die Idee in deinem Kopf festsetzt, ist letztlich egal. Wichtig ist, dass du deiner Idee Raum und Aufmerksamkeit gibst. Eine Idee will genährt werden, wenn du sie von dir stößt, kann sie nicht zu mehr werden. Wenn du bewusst über die Idee nachdenkst, wirst du schnell merken, dass immer neue Ideen hinzukommen. Denn offensichtlich hat niemand, dem eine Idee für ein Buch kommt, das fertige Buch in seinem Kopf, einfach so, von jetzt auf gleich. Manchmal sind es die Charaktere, manchmal die Welt, manchmal ein Thema, manchmal eine Atmosphäre, manchmal die grobe Handlung – und ja, manchmal ist es alles auf einmal, das hatte ich auch schon. Aber – aber! – wir reden hier mehr von einer Ahnung, einem Gefühl. Wenn ich eine Idee für die Handlung, die Charaktere etc. habe, ist es eben nur das: eine Idee.
Ideen sind wundervoll, magisch beinahe. Ich liebe es, wenn sich eine neue Idee in meinem Kopf formt (auch wenn ich weiß, dass es viel zu lange dauern wird, bis ich tatsächlich dazu komme, sie niederzuschreiben) und ich panisch nach einem Stift oder meinem Handy suche, weil ich sie nicht vergessen will. Trotzdem ist eine Idee nur das: eine Idee. Mit ihr steht und fällt ein Buch nicht.
Das Sammeln von Inspiration:
Wenn du nicht möchtest, dass deine Idee einfach weiter vor sich hinschlummert, sondern sich weiter- und weiter- und weiterentwickelt, bis sie langsam zu einem wahrhaftigen Buch wird, musst du sie aufwecken und sie nähren. Wortwörtlich. Selbstverständlich kannst du einfach warten, bis dir weitere Aspekte einfallen, mit denen du deine Idee ergänzen kannst und manchmal musst du vielleicht auch dein Unterbewusstsein für dich arbeiten lassen – wenn du in einer Sackgasse steckst, beispielsweise. Meiner Erfahrung nach, komme ich so allerdings nirgendwohin. Wenn ich möchte, dass meine Idee über das Anfangsstadium herauswächst, dann muss ich mir bewusst Zeit nehmen, um über sie nachzudenken. Das mag für jeden auf eine andere Weise funktionieren: beim Spazierengehen, beim Geschirrspülen, mit Zettel und Stift, am Laptop oder in einer Unterhaltung. So oder so versuche ich immer, alles festzuhalten, was mir einfällt, mag es auch noch so zusammenhangslos und voller Lücken sein. Einen Satz, den ein Charakter sagen wird (oder im finalen Manuskript vielleicht dann auch nicht), einen Brocken aus der Vergangenheit des Charakters, eine Angst, ein Setting, eine Szene, etc. Manchmal hilft mir eine Mindmap der Charaktere, der Welt oder des Projekts insgesamt zu machen – und manchmal hilft mir das nicht. Manchmal ist es eine Stichwortliste an Dingen, die ich in jedem Fall einbringen will, manchmal ist es eine Liste an Büchern, Filmen und Serien, in denen ich etwas Bestimmtes mit meiner Idee assoziiere.
Nachdem ich erstmal all das notiert habe, beginne ich damit, die Atmosphäre, die ich instinktiv gefühlt habe und mit der Idee verbinde, genauer herauszuarbeiten. Dazu nutze ich besonders gerne Pinterest und Spotify, also das Visuelle und Auditive. Wenn ich meine Sinne mit Eindrücken fülle, die sich für mich nach meiner Idee anfühlen, macht es das viel leichter, die Idee weiterzudenken.
Die Planung – oder nicht-Planung:
Wenn ich dann schon eine genauere Idee habe, in welche Richtung sich das Buch entwickelt, gehe ich zum Planen über. Natürlich plant nicht jeder gleich oder überhaupt. Da gibt es meiner Meinung nach definitiv kein Richtig oder Falsch. Mir persönlich gibt Planen Sicherheit und das ist mir wichtiger als vielleicht anderen, die gerade das Entdecken beim Schreiben lieben. Das tue ich zwar auch, aber in den Details, denn alles zu planen ist schlicht unmöglich. Jeder Dialog, jede Beschreibung, jede noch so kleine Kleinigkeit kann etwas Neues über die Geschichte offenbaren und das ist auch schön so. Ich würde an dieser Stelle auch zwischen einem Projekt differenzieren, bei dem die Idee noch ganz neu ist und einem, bei dem die Idee vielleicht schon länger darauf wartet, dass du dich ihr widmest. Leider können ja nicht alle Bücher sofort geschrieben werden. Ideen, die ich schon vor mehreren Monaten – oder manchmal sogar Jahren – hatte, haben sich seither sicher viel geändert, können aber auch schon deutlich ausgereifter sein, als solche, bei denen sich erst kürzlich ein schwaches Bild im Kopf geformt hat. Für mich spielt auch das Genre eine große Rolle in der Planung. Während ich beim Schreiben meines Buch-Projekts „Doch wen der Sturm fasst“ eher von Szenenidee zu Szenenidee gesprungen bin, mich von meiner Ich-Perspektive habe leiten lassen und mich am meisten auf die Ausarbeitung der Charaktere und ihrer Dynamiken konzentriert habe, plane ich in meiner Fantasy-Serie „Der PAX Orden“ jedes Kapitel minutiös, da ich immer in fünf bis sechs Perspektiven schreibe, deren Handlung perfekt ineinandergreifen muss und deren Charaktere alle eine bestimmte Entwicklung (persönlich und miteinander) durchleben müssen etc.
Wichtig beim Planen ist: Mit wie viel Wissen fühlst du dich sicher und voller Vorfreude auf das Schreiben und wann hast du entweder das Gefühl völlig verloren zu sein (durch zu wenig Planung oder Wissen) oder bist vielleicht sogar gelangweilt (durch zu viel Planung oder Wissen)?
In der Planung selbst gehe ich immer vom Groben aus und werde Schritt für Schritt detaillierter. Das heißt, ich überlege mir einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende, entsprechend dem 3-Akt-Schema. Dann fange ich an, über jeden Akt genauer nachzudenken, aber auch damit, die Charakterentwicklung zu planen, denn die ist fest mit der Handlung verwoben. Handlung und Charakterentwicklung beeinflussen einander gegenseitig und Charaktere sollten die Handlung vorantreiben; die Handlung sollte niemals die Charaktere von Punkt A zu Punkt B drängen, und ein Charakter sollte niemals unverändert durch die Geschichte schreiten – sei die Veränderung positiv oder negativ, wie es meist bei Antagonisten der Fall ist. Viele Geschichten arbeiten hier mit einem bestimmten Thema oder einer moralischen Lehre, die ins Zentrum gerückt wird. Diese ist zumeist mit der Charakterentwicklung verbunden. Beispielsweise könnte dein Charakter zu Beginn der Handlung fest davon überzeugt sein (wichtig: fälschlicherweise!), dass er sich vollkommen verstellen muss, damit andere ihn mögen und würde bis zum Ende lernen, dass andere ihn lieben, genauso wie er ist. Das Thema oder die moralische Lehre wäre in diesem Fall: Sei so wie du bist oder: Du bist liebenswert, genauso wie du bist. Darauf will ich aber gar nicht länger eingehen.
Zusammengefasst würde ich also vom Groben ausgehen und zunehmend mehr ins Detail gehen, und mich dabei nicht nur auf die Handlung konzentrieren, sondern auch auf die Charaktere, die schließlich das Herz einer jeden Geschichte bilden. Die solltest du selbstverständlich auch genaustens unter die Lupe nehmen (und sei es erst beim Schreiben, wenn du dich überraschen lassen möchtest). Denk immer daran: Auch wenn deine Charaktere fiktiv sind, sollten sie doch zumindest echt und lebensnah wirken. Sie sollten sowohl Stärken als auch Schwächen haben und wie jede Person im wahren Leben in ihrer eigenen Sichtweise gefangen sein. Sie sollten Dinge lieben und Dinge hassen, sie sollten auf eine distinkte Art reden und denken und fühlen. Wie mit allem, was das Schreiben betrifft: Lass dich hier von deinen Lieblingsbüchern, -filmen oder -serien inspirieren – nicht, indem du bereits existierende Charaktere kopierst, sondern indem du analysierst, was einen guten Charakter ausmacht, mit dem du einfach mitfühlen musst. Wie viel weißt du über ihn und warum hat dich seine Geschichte so bewegt?
Das Schreiben – und Schreiben und Schreiben und Schreiben:
Zum Schreiben könnte so unendlich viel gesagt werden, aber ich halte es kurz. Hier ist besonders eine Sache wichtig: nicht aufzuhören. Trotz den Zweifeln, trotz den Hürden, den Sackgassen und dem ewigweitentfernten Ende. An manchen Tagen hasse ich das, was ich schreibe. An anderen Tagen finde ich es tatsächlich in Ordnung. Feste Routinen oder ein Schreibpartner können sicher helfen, wenn deine negativen Gedanken zu überwiegen drohen. In welcher Umgebung, um welche Uhrzeit und mit welcher Musik (oder auch ohne Musik) fühlst du dich wohl und inspiriert? Merk dir das für Momente, in denen du eine Blockade hast. Und erinnere dich immer daran, warum du diese Geschichte in erste Linie schreiben wolltest. Was hat dich so an ihr fasziniert, warum brennst du dafür? Sobald dir das wieder ins Bewusstsein rückt, kommt auch dein Feuer zurück, versprochen.
Außerdem: Schreiben ist kein Wettrennen. Du wirst an dein Ziel kommen, egal in welcher Geschwindigkeit, und auch wenn es schwer ist, lass Perfektionismus nicht in deinem Weg stehen. Alles, was du schreibst, ist temporär und kann jederzeit geändert oder verbessert werden. Konzentriere dich darauf, zunächst ein Grundskelett zu schaffen, dem du, wenn nötig (und am besten erst, nachdem du dein Manuskript beendet hast) noch einmal alle Knochen brechen kannst, wenn es sein muss.
Der Bearbeitungs- und Optimierungsprozess:
Viele hassen das Bearbeiten, weil es überwältigend erscheinen kann, aber das muss es nicht sein! Ich mag es eigentlich recht gerne, was aber auch daran liegen kann, dass ich ein Perfektionist bin und als solcher nach Optimierung strebe. Ich freue mich auf das Bearbeiten, weil das heißt, dass ich nach dem Schreiben und Schreiben und Schreiben endlich an einem Punkt angelangt bin, an dem ich das, was ich zu Papier gebracht habe mit der Vorstellung in meinem Kopf näher zusammenbringen kann. Ich mache mir schon während des Schreibens Notizen zu Dingen, von denen ich weiß, dass ich sie später ändern muss – das hilft mir sehr. Auch würde ich zwischen dem Beenden des Manuskripts und dem Bearbeiten immer ein wenig Zeit vergehen lassen. Nach dem Schreiben bist du noch sehr in der Geschichte versunken, zum Bearbeiten ist ein „Schritt zurück“ und eine möglichst objektive Betrachtungsweise (so objektiv wie es bei einem eigenen Projekt denn sein kann) am besten. Wenn dir Bearbeiten lästig oder unnötig scheint, denk immer daran, dass du beim Bearbeiten viel über dein eigenes Schreiben lernen kannst. Verwendest du ein bestimmtes Wort oder eine Satzform viel zu oft? Hast du dich zu sehr auf die Handlung konzentriert und die Charaktere vergessen? Ist deine Handlung voller Lücken? All das kannst du nun ändern und dadurch speichert sich dein Kopf ab, wie ein von dir geschriebenes Buch in dieser optimierten Form aussieht. Im Optimalfall machst du den gleichen „Fehler“ in deinem nächsten Manuskript dann nicht mehr.
Wie viel Bearbeitung dein Manuskript benötigt hängt sowohl von der Länge als auch von der Komplexität oder dem Genre ab. Wie beim Planen würde ich wieder vom Groben zum Detail gehen. In dem Fall sind Details beispielsweise der genaue Wortlaut oder eine Beschreibung von etwas, während du zunächst grob feststellen könntest, ob du das 3-Akt-Schema verfolgt hast oder eine Charakterentwicklung ersichtlich ist. Ich lese mein Manuskript dafür einmal komplett durch und mache mir Notizen zu allem, was mir auffällt. Dinge, die schnell geändert werden können, erledige ich dann sofort, Dinge, die aufwendiger sind stelle ich erst einmal hinten an. Diese untergliedere ich dann in Charakter, Handlung und Setting und kümmere mich nacheinander darum. Natürlich sind auch Personen, die dein Manuskript Korrektur lesen, sehr, sehr wertvoll und wichtig, allerdings würde ich ihnen immer das bestmögliche Produkt geben, das du allein fertigstellen kannst, da sie sich so auf das volle Potenzial deiner Geschichte konzentrieren können und nicht von Rechtschreibfehlern, Lücken in der Handlung oder Unregelmäßigkeiten abgelenkt werden, die du selbst hättest beheben können.
Bearbeiten macht dich zu einem besseren Geschichtenerzähler, daran glaube ich fest. Und von denen kann unsere Welt immer mehr gebrauchen!
Da ich in wenigen Wochen damit beginnen werde, den zweiten Band meines „Der PAX Orden“ Quartetts zu bearbeiten und in meinem Kopf ohnehin bereits darüber am Grübeln war, wie ich am besten vorgehe, dachte ich, dass es vermutlich keinen besseren Zeitpunkt gibt, um meine übliche Arbeitsweise in schriftlicher Form festzuhalten.
Vorweg sei gesagt, dass niemandes Prozess gleich ist und auch gar nicht sein soll. Das ist bloß die Art und Weise, die für mich funktioniert, und ich selbst finde es immer sehr hilfreich, den Prozess eines anderen Geschichtenerzählers zu studieren – lernen kann man nämlich meistens etwas und sei es nur, dass dies oder jenes nicht für den eigenen Prozess funktioniert.
Autorinnen, an denen ich mich besonders gerne orientiere, da ihre Denk- und Arbeitsweise meiner sehr ähnelt, sind Susan Dennard (sie hat unzählige Schreibtipps auf ihrer Website gelistet und anschauliche Videos auf YouTube), Adrienne Young (sie hat den Planungs-, Schreib- und Bearbeitungsprozess von einem ihrer Romane vollständig dokumentiert; er ist in ihren Instagram-Story-Highlights verlinkt) und Abbie Emmons (sie hat eine schier gigantische Auswahl an Schreibvideos auf ihrem YouTube Kanal).
1. Notizen während dem Schreiben
Bearbeiten beginnt für mich schon, während ich noch am Schreiben bin. Ich notiere mir direkt, wenn ich merke, dass gewisse Dinge später bearbeitet werden müssen. Das kann zum Beispiel das Auftreten von Charakteren betreffen, die ich versehentlich vernachlässigt habe, Handlungsstränge, die nicht vollständig bis zum Ende hin abgewickelt wurden, oder Dinge, Charaktere oder Handlungsstränge, die erst irgendwann im Verlauf dazugekommen sind, aber schon weiter vorn in die Handlung mit eingebettet werden müssen. Sind es Kleinigkeiten ändere ich sie noch während des Schreibens, sind es größere Dinge müssen sie warten, damit ich nicht aus dem Schreibfluss komme.
2. Das Manuskript ruhen lassen
Für einen möglichst distanzierten, neutralen Blick – so neutral ein Blick denn bei einer eigenen Geschichte sein kann – hilft es mir sehr, Zeit zwischen dem Beenden der ersten Fassung und dem Bearbeiten vergehen zu lassen. Wie viel Zeit ist schwer zu sagen und hängt natürlich auch davon ab, woran ich in der Zwischenzeit arbeite. Allerdings würde ich mindestens vier Wochen, sprich einen Monat, vergehen lassen. So kann die Geschichte langsam, aber sicher in ihrer ganzen Form in deinem Kopf Gestalt annehmen, ohne dass dich die letzten Kapitel, die du gerade erst geschrieben und deren Emotionen du noch stark in Erinnerung hast, zu sehr beeinflussen.
3. Die Handlungspunkte
Die nächsten zwei Punkte mögen auf den ersten Blick vielleicht etwas lästig erscheinen, aber sie lohnen sich, versprochen. Wie auch das „Ruhenlassen“ ermöglichen sie dir einen klareren, distanzierten und vor allem analytischen Blick auf deine Geschichte. Und der ist dringend nötig! Wie sonst willst du bei derart vielen Wörtern den Überblick bewahren? Ich jedenfalls kann das nicht und ich weiß, dass ich bei einem Manuskript von 160.000 Wörtern ansonsten regelmäßig den Kopf gegen die (metaphorische) Wand schlagen würde.
Was also tue ich, um das möglichst zu vermeiden? Ich schreibe noch einmal alle Handlungspunkte auf, wie ich es auch für meine Planung getan habe. Mit Handlungspunkten meine ich spezifische Schritte oder Wendepunkte in der Handlung. Ich arbeite mit dem 3-Akt-Schema und einem sehr charakterfokussierten Blickwinkel. Das heißt, für mich gliedert sich die Handlung wie folgt:
Akt I
HOOK
INCITING INCIDENT
BUILD-UP + 1. PLOT POINT
Akt II
PRE-MIDPOINT REACTIONARY HERO
MIDPOINT/PLOT TWIST
POST-MIDPOINT ACTION HERO
Akt III
DISASTER
DARKEST MOMENT + AHA-MOMENT
KLIMAX
Mehr dazu erklärt Abbie Emmons hier: https://www.youtube.com/watch?v=s7a6R5lVW3g&list=PLV6pMftb_QTkVqGM5Q_WrF0XC9YH9KJWU
In diesem Beitrag möchte ich darauf nicht genauer eingehen. Wichtig ist, dass ich mir ins Bewusstsein rufe, was die einzelnen Punkte sind und an welcher Stelle sie konkret in meiner Handlung auftreten.
Danach mache ich für jedes Kapitel (oder jede Szene, je nachdem, wie du schreibst) eine 1-Satz-Zusammenfassung, in der ich herausstelle, welches Ziel meine Charaktere dort konkret verfolgen und worin der Konflikt besteht. Genreabhängig kann sich das natürlich sehr verschieden gestalten. Wichtig ist, dass ein Kapitel (oder eine Szene) die Charaktere immer, immer, immer in ihrer Entwicklung vorantreibt und somit auch die Handlung. Ein aktives Scheitern an einer Weiterentwicklung ist natürlich auch möglich. Stagnieren sollten sie aber definitiv nicht.
Wenn du Wert darauflegst, dass deine Kapitel in etwa gleichlang sind, kannst du das an dieser Stelle ebenfalls überprüfen und dir somit bereits vor dem Bearbeiten notieren, welche Kapitel du gegebenenfalls kürzen oder strecken solltest. Wie mit allem ist es individuell, welche Kapitellänge als angenehm empfunden wird und auch davon abhängig, wie viele Szenen du in einem Kapitel unterbringst, vielleicht auch aus wie vielen Perspektiven du pro Kapitel schreibst, und sicher auch, in welchem Genre du schreibst. Wenn eines deiner Kapitel allerdings nur vier Seiten und ein anderes über 20 Seiten hat, könnte das auch ein Zeichen dafür sein, dass in diesen entweder zu wenig bzw. kein oder aber zu viel „erreicht“ wird – sei es an Konflikt(bewältigung) oder Charakterentwicklung. Bei wechselnden Perspektiven oder vielen Nebencharakteren wäre es sinnvoll, sich zudem einen Überblick darüber zu verschaffen, ob diese ausgewogen vorkommen oder stellenweise zu sehr vernachlässigt wurden.
4. Die Charakterentwicklung
Zusätzlich zu den Handlungspunkten und der inhaltlichen Zusammenfassung durch die 1-Satz-Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel widme ich mich den Charakterentwicklungen meiner Hauptcharaktere und notiere, unter welchen Handlungspunkten ein Charakter welche Entwicklung durchmachen sollte – immer mit der Frage: Wie reagiert dieser Charakter auf X? Was macht es mit ihm?
Wenn der INCITING INCIDENT in Die Tribute von Panem auf der Handlungsebene beispielsweise ist, dass Katnis sich an Prims Stelle für die Hungerspiele meldet, dann ist auf der Ebene der Charakterentwicklung zu überlegen, was das für Katnis bedeutet und mit ihr macht. Wie verändert es sie?
Den Schritt mache ich ebenfalls schon in der Planung; beim Bearbeiten versuche ich, die Emotionen noch klarer herauszustellen und im Geschriebenen ausfindig zu machen.
Je mehr Charaktere in der Handlung vorkommen, oder aus je mehr Perspektiven geschrieben wird, desto aufwendiger und verworrener ist dieser Teil natürlich. Die Charakterdynamiken und -beziehungen und die Entwicklungen dieser müssen hier schließlich auch berücksichtigt und überarbeitet werden.
5. Lesen – und zwar alles
Ja, genau, lesen. Bevor ich mit dem Bearbeiten beginne und nachdem ich alles, aber wirklich alles, aufgeschrieben habe, was ich bereits weiß, lese ich das Manuskript einmal komplett durch – erneut, um weitere Informationen zu sammeln, die ich für das Bearbeiten benötige. In diesem Schritt schon zu bearbeiten, versuche ich zu vermeiden, höchstens Tipp- oder grammatikalische Fehler behebe ich schnell, aber nicht mehr und vor allem keinen Satzbau (auch wenn mir das als Perfektionistin sehr, sehr schwerfällt) oder etwas, das mich aufhalten würde. Das Ziel ist es, einen Überblick über das Manuskript zu erlangen und je distanzierter ich in diesem Schritt bleibe, desto leichter gelingt dies. Ich lasse mir das Manuskript dafür auch von Word vorlesen, während ich dem Text mit den Augen folge. Das hilft mir dabei, mich nicht an Stellen oder Sätzen aufzuhalten und, erneut, die Distanz zu wahren. Ich versuche, das Manuskript an einem Stück zu lesen, aber natürlich fällt mir das bei einem Manuskript von 70.000 Wörtern leichter als bei einem von 160.000 Wörtern (was sicher locker 14h in Anspruch nehmen würde).
Also: Wichtig ist, das Manuskript selbst noch nicht zu bearbeiten. Was ich stattdessen tue, ist, mir Notizen zu machen (ja, mehr Notizen). Wo spielt im Grunde keine Rolle. Vielleicht schreibst du gerne in ein Notizbuch, in dem du jedem Kapitel eine Seite widmest oder arbeitest gerne mit Karteikarten, oder aber du hast alle Informationen am liebsten direkt in dem Dokument selbst. Ich unterteile meine Beobachtungen in HANDLUNG, CHARAKTER und WELT (wobei das für mich ebenfalls Dinge wie das Wetter, Handlungsorte, Magie-Systeme, Kulturelles etc. umfasst). Das könnte dann zum Beispiel so aussehen, dass ich durch ein Kapitel lese und feststelle, dass ich einen Abschnitt kürzen oder ganz streichen könnte, dass die emotionale Reaktion meines Charakters zu schwach ist, und dass ich die Umgebung an dieser Stelle zu viel und an einer anderen zu wenig beschrieben habe. Wenn du in deinem Dokument arbeitest, ist sicherlich die Kommentarfunktion dein bester Freund. Ich versuche mir die einzelnen Bearbeitungspunkte dort zusätzlich farbig zu markieren und somit zu differenzieren. (Ich nutze Blau für HANDLUNG, Gelb für CHARAKTER und Grün für WELT)
So! Genug vorbereitet …
6. Auf zum Bearbeiten (yay!)
Ab hier stehen dir im Grunde zwei Optionen offen. Bearbeitest du chronologisch, sprich du startest bei Kapitel 1 und bearbeitest dort alles, was es zu bearbeiten gibt, oder bearbeitest du nach Thema, sprich du beginnst mit allen Punkten, die die HANDLUNG betreffen, bevor du dich den CHARAKTEREN und schließlich der WELT widmest?
Ich bevorzuge Zweiteres. Einfach aus dem Grund, da ich sonst schnell den Überblick über spezifische Probleme verliere, da das Voranschreiten in der Geschichte selbstverständlich länger dauert.
Ich widme mich also erst der HANDLUNG, behebe dafür die kleinen Probleme zuallererst und gehe ansonsten chronologisch vor.
Dann kümmere ich mich um meine CHARAKTERE und deren Entwicklungsstränge. Immer ein Charakter nach dem nächsten und das chronologisch, Kapitel für Kapitel.
Zum Schluss kommt die WELT. Dinge, die hierunter fallen, sind beispielsweise detailorientierte Fragen wie: An welcher Stelle beschreibe ich zu wenig oder zu viel? Sind die Jahreszeiten erkenntlich? Wie viel Zeit vergeht zwischen den jeweiligen Kapiteln und im Verlauf des gesamten Manuskripts? Wie habe ich die Charaktere beschrieben und habe ich sie vielleicht immer gleich beschrieben (z.B. immer nur die Augen- und Haarfarbe)? Weiß der Leser, wo in der Welt/ an welchem Schauort sich die Charaktere gerade befinden?
Wenn all meine Aufschriebe abgearbeitet sind (was ein wirklich langer Prozess ist), werfe ich einen Blick in mein Pinterest-Board, um zu überlegen, ob ich Impressionen von dort noch miteinbeziehen möchte. Anschließend kontrolliere ich alle meine Notizbücher, meine Notiz-App auf dem Handy – schlichtweg alles, wo ich mir jemals Notizen zu dem Projekt gemacht habe –, daraufhin, ob ich noch Schnipsel oder Ideen finde, die ich mit integrieren will.
7. Ausdrucken
Eine Runde Bearbeiten ist geschafft und damit definitiv der härteste, mein Hirn regelmäßig zermarternde Part. Als nächstes drucke ich das Manuskript einmal vollständig aus. Sicher, das ist nicht die nachhaltigste Art zu arbeiten, aber mir hilft es sehr, das Geschriebene ausgedruckt vor mir liegen zu haben. Ich sehe die Worte dadurch noch einmal auf eine ganz andere Art. Und in physischer Form zu sehen, wie viel ich tatsächlich geschrieben habe, macht mich jedes Mal unfassbar glücklich.
Was nun kommt ist der Feinschliff; die Kontrolle von Satzbau, Wortwahl und Wortwiederholung, aber auch von einer kontinuierlichen Lesegeschwindigkeit sowie von der atmosphärischen Wirkung, die durch die Charaktere vermittelt werden sollte. Was sehen, fühlen, hören, schmecken, riechen sie? Wichtig hierbei ist, zu beachten, wie dieser oder jene bestimmte Charakter die Welt wahrnimmt, wie er denkt und seine Gedanken artikuliert, wie er spricht, wie er mit anderen interagiert und wie er auf Dinge, die ihm widerfahren, reagiert. Welche Leidenschaften und Ängste hat er? Woran erinnern in bestimmte Dinge oder was assoziiert er mit den Dingen, die er sieht? Wie haben ihn seine Vergangenheit, seine Familie und seine Freunde geprägt und was hat er bereits erlebt? Die Liste ist ewig …
Das alles versuche ich mir beim Lesen und Korrigieren noch einmal ganz bewusst vor Augen zu rufen.
8. Übertragen
Und nun musst du das Ganze nur noch Übertragen (und dabei am besten gleich noch einmal kontrollieren) und fertig!
Endlich: dein „perfektes“ Manuskript!